Bundesversorgungsgesetz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Basisdaten
Titel: Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges
Kurztitel: Bundesversorgungsgesetz
Abkürzung: BVG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Sozialrecht
Fundstellennachweis: 830-2
Ursprüngliche Fassung vom: 20. Dezember 1950
(BGBl. S. 791)
Inkrafttreten am: 1. Oktober 1950
Neubekanntmachung vom: 22. Januar 1982
(BGBl. I S. 21)
Letzte Änderung durch: Art. 7 G vom 16. Dezember 2022
(BGBl. I S. 2328, 2346)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
1. Januar 2023
(Art. 13 G vom 16. Dezember 2022)
Außerkrafttreten: 1. Januar 2024
(Art. 60 Abs. 7 G vom 12. Dezember 2019,
BGBl. I S. 2652, 2723)
GESTA: G013
Weblink: Text des Gesetzes
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) regelte in Deutschland bis 2023 die staatliche Versorgung von Kriegsopfern des Zweiten Weltkrieges. Durch die entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften bei sonstigen Personenschäden war es zur zentralen Vorschrift des sozialen Entschädigungsrechts geworden.

Das Gesetz galt nach § 68 SGB I als besonderer Bestandteil des Sozialgesetzbuches und ist seit dem 1. Januar 2024 in das Vierzehnte Buch Sozialgesetzbuch eingeordnet.[1]

Unmittelbarer Anwendungsbereich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es war anzuwenden bei gesundheitlichen Schäden durch (§ 1)

  • militärischen oder militärähnlichen Dienst
  • unmittelbare Kriegseinwirkung
  • Kriegsgefangenschaft
  • Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staats- oder Volkszugehörigkeit
  • eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
  • einen Unfall, wenn der Geschädigte auf dem Weg war, um entweder eine Leistung nach dem Gesetz zu erlangen oder auf Anforderung einer Versorgungsbehörde oder eines Gerichts zu erscheinen hatte oder der Unfall bei einer solchen Maßnahme stattfand.

Außerdem gilt das Gesetz für Personen, die bereits Leistungen nach mindestens einem der folgenden Gesetzen erhalten

  • Gesetz über den Ersatz der durch den Krieg verursachten Personenschäden (Kriegspersonenschädengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1927
  • Gesetz über den Ersatz der durch die Besetzung deutschen Reichsgebiets verursachten Personenschäden (Besatzungspersonenschädengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 1927 (RGBl. I S. 103)
  • Deutsche, die in der Zeit vom 18. Juli 1936 bis 31. März 1939 in Spanien auf republikanischer Seite gekämpft haben (Spanischer Bürgerkrieg) und
  • Hinterbliebene der obigen Personen
  • Vertriebene, die im Vertreibungsgebiet nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Wehrdienst leisten mussten und dabei beschädigt wurden

Militärischer und militärähnlicher Dienst war folgender Dienst

Das Bundesversorgungsgesetz wurde mehrmals geändert, u. a. regelmäßig zur Fortschreibung der im Gesetz bestimmten Leistungsbeträge.[2] Die letzte größere Änderung erfolgte durch 14 und 15 des Bundesteilhabegesetzes.

Das Bundesversorgungsgesetz fand in dem in Art. 3 Einigungsvertrag genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) vom 1. Januar 1991 an Anwendung.

Entsprechende Anwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf die Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes verwiesen unter anderem folgende Gesetze:

Menschen, die im Sinne dieser Gesetze eine Gesundheitsschädigung erlitten haben, erhalten dieselbe Versorgung wie Kriegsopfer.

Anspruchsvoraussetzungen und -umfang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag eine Versorgung. Die Versorgung umfasst gem. § 9 BVG Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbehandlung, Leistungen der Kriegsopferfürsorge, Beschädigtenrente und Pflegezulage, bei Tod des Beschädigten auch Bestattungs- und Sterbegeld sowie Hinterbliebenenrente, außerdem Bestattungsgeld beim Tod von versorgungsberechtigten Hinterbliebenen.

Bewilligte Leistungen wie die „Grundrente“ werden z. B. bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht angerechnet.[3]

Entschädigung für NS-Täter und ihre Hinterbliebenen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Regierungsentwurf eines Bundesversorgungsgesetzes im Jahr 1950 sollte klargestellt werden, dass Geldleistungen auch nach diesem Gesetz ausgeschlossen seien, wenn bereits ein Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen „wegen politischer Belastung“ nicht bestand. Der Bundesrat schlug einen zweiten Absatz vor, nach dem Ausländer, die freiwillig in der deutschen Wehrmacht Dienst geleistet hatten, Leistungen nur in Härtefällen erhalten sollten. Angehörige ausländischer Freiwilligenverbände, deren Tätigkeit zumeist in der Bewachung von KZ-Lagern u. ä. bestanden habe, seien nicht würdig. Die Bundesregierung wollte Ausländer grundsätzlich Deutschen gleichgestellt sehen, hatte aber keine Bedenken gegen Einschränkungen auch für jene. Sie wies zugleich daraufhin, dass es dazu einer ergänzenden Vorschrift im Gesetz bedürfe, weil Ausländer „noch nicht“ unter die Entnazifizierungsbestimmungen fielen[4] (und damit in entsprechenden Verfahren den Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen wegen politischer Belastung nicht verlieren konnten). Der federführende Ausschuss strich die Vorschrift mit der Formulierung „wegen politischer Belastung“,[5] wie der Berichterstatter im Plenum ohne weiteres vortrug. Auch gestrichen wurde in der anspruchsbegründenden Definition des militärischen Dienstes die Erwähnung des Dienstes in der Waffen-SS, um der Organisation kein „namentliches Erinnerungsdenkmal“ zu setzen. Damit war aber kein Ausschluss beabsichtigt, wie ausdrücklich klargestellt wurde.[6] In der Schlussabstimmung wurde der Entwurf einstimmig bei vier Enthaltungen angenommen.[7]

Dementsprechend konnte Heydrichs Witwe Lina im Jahr 1958 letztinstanzlich Leistungen der Kriegsopferversorgung erstreiten, was zwar in einer Bundestagsdebatte problematisiert wurde,[8] aber keine Initiativen zu einer Gesetzesänderung auslöste. Dabei verblieb es auch, als im Jahr 1985 Leistungen an Freislers Witwe Marion bekannt wurden, deren Umfang später im Verwaltungsverfahren zu beschränken war.[9]

Im Jahr 1993 kam es zu einer heftigen politischen Debatte über das Bundesversorgungsgesetz. Hintergrund war ein im Jahr 1993 ausgestrahlter Fernsehbeitrag, wonach 128 lettische Legionäre der Waffen-SS Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhielten, darunter auch Teilnehmer von Massenerschießungen an lettischen Juden im Jahr 1941, während die Opfer leer ausgingen.[10] Dies war der rechtlichen Konstellation geschuldet, wonach Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland voraussetzen, während das Bundesversorgungsgesetz lediglich an den geleisteten Dienst in der Wehrmacht anknüpft, sodass Leistungen auch an Berechtigte im Ausland erbracht werden können. Die Fraktion der Grünen stellte daraufhin einen Antrag im Bundestag, Leistungen an Mitglieder der Waffen-SS sofort einzustellen.[11] Bis zur Änderung des Gesetzes sorgte der Versorgungsantrag des ehemaligen SS-Mitgliedes Heinz Barth für weiteres Aufsehen. Nach einer langen politischen Debatte, in der es u. a. auch um die Gewährleistung von Vertrauensschutz für bisherige Bezieher ging, änderte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 21. Januar 1998 das Bundesversorgungsgesetz dahingehend, dass Berechtigten, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, insbesondere bei einer freiwilligen Mitgliedschaft in der SS, Leistungen bei Antragstellung nach dem 13. November 1997 zu versagen bzw. bei früherer Antragstellung mit Wirkung für die Zukunft zu entziehen sind (§ 1a BVG).[12][13][14]

Die ab 1999 vorgenommene Überprüfung der BVG-Empfänger führte bei fast einer Million damaliger Empfänger nur in 99 Fällen zum Leistungsentzug.[15][16]

Das belgische Parlament hat am 14. März 2019 eine Resolution verabschiedet, die den Stopp finanzieller Leistungen Deutschlands an die 17 noch lebenden ehemaligen freiwilligen Angehörigen der Waffen-SS bzw. der Wehrmacht in Belgien fordert.[17][18][19]

Im Dezember 2020 bezogen noch 43.558 Personen mit Wohnsitz in Deutschland und 1.390 Personen mit Wohnsitz im Ausland Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse über weitere Entziehungen über die 99 bekannten Fälle hinaus.[20]

Rechtspolitisch umstritten ist, inwiefern ein pauschaler Leistungsausschluss für alle SS-Freiwilligen rechtlich möglich wäre.[21]

Zuständigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz und den Nebengesetzen ist durch den Gesetzgeber den Dienststellen der Kriegsopferversorgung übertragen worden. Dienststellen der Kriegsopferversorgung sind die Landesversorgungsämter, Versorgungsämter, Orthopädische Versorgungsstellen und Versorgungskuranstalten. In Bayern sind die Versorgungsämter in die Regionalstellen des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) und das Landesversorgungsamt in die Zentrale des ZBFS eingegliedert. In Nordrhein-Westfalen wurden die Versorgungsämter zum 1. Januar 2008 aufgelöst und die Aufgaben auf die Landschaftsverbände Rheinland bzw. Westfalen-Lippe übertragen.[22][23]

Die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden bei Ausführung des Bundesversorgungsgesetzes für Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes haben, regelt die Auslandszuständigkeitsverordnung.

Aufbau des BVG[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kurt Rohr, Horst Sträßer, Dirk Dahm: Bundesversorgungsgesetz. Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher. Loseblattwerk mit 106. Aktualisierung, August 2016. Asgard-Verlag, ISBN 978-3-537-53299-2

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Art. Art. 58 Nr. 2, Art. 60 Abs. 7 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12. Dezember 2019, BGBl. I S. 2652.
  2. letzte Änderungen des Bundesversorgungsgesetzes.
  3. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, abgerufen am 28. April 2016.
  4. Deutscher Bundestag: Drucksache Nr. 1333 vom 12. September 1950, Anlage 1 (Gesetzentwurf), S. 2 ff., 6, 75; Anlage 2 (Änderungsvorschläge des Deutschen Bundesrates), S. 74 ff., 84; Anlage 3 (Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen), S. 80 ff., 84
  5. Deutscher Bundestag: Drucksache Nr. 1466 vom 13. Oktober 1950, Mündlicher Bericht des Ausschusses ... / Zusammenstellung des Entwurfs ... mit den Beschlüssen des Ausschusses
  6. Deutscher Bundestag — 93. Sitzung. 19. Oktober 1950. Plenarprotokoll S. 3439 ff., 3442 D
  7. Deutscher Bundestag — 93. Sitzung. 19. Oktober 1950. Plenarprotokoll S. 3439 ff., 3455 D
  8. Deutscher Bundestag — 56. Sitzung. 22. Januar 1959. Plenarprotokoll S. 3047 ff., 3057 D
  9. Bayerischer Landtag: Drucksache 10/6016 vom 15./18. Februar 1985, Antwort ... auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Wirth SPD, zu 6.
  10. BSG, Urteil vom 24. November 2005, Az. B 9a/9 V 8/03 R, Volltext.
  11. Deutscher Bundestag: BT-Drs. 12/4788 vom 23. April 1993.
  12. Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vom 14. Januar 1998, BGBl. I S. 66.
  13. BSG, Urteil vom 30. September 2009, Az. B 9 V 1/08 R, Volltext.
  14. Andreas Frank: Die Entschädigungsunwürdigkeit in der deutschen Kriegsopferversorgung. Mit einem Beitrag zur politiktheoretischen Begründung der Menschenwürde und einer rechtsvergleichenden Untersuchung zum österreichischen Kriegsopferrecht. Würzburg, 2003. ISBN 3-89913-298-X. Rezension von Michael A. Nückel, 1. Januar 2006.
  15. Stefan Klemp, Martin Hölzl: Die Neufassung des § 1a Bundesversorgungsgesetz (BVG): Streichung von Kriegsopferrenten für NS-Täter – Schlussbericht. Erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Bonn 2016, S. 140.
  16. Umsetzung des Leistungsentzugs nach dem Bundesversorgungsgesetz für Kriegsverbrecher, Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 18/10975 vom 25. Januar 2017.
  17. Drs. 2243/012 der belgischen Kammer, CRABV 54 PLEN 275 (niederländisch, französisch).
  18. Christoph Hasselbach: Kollaboration im Zweiten Weltkrieg: Deutsche Renten an belgische SS-Freiwillige. Deutsche Welle, 20. Februar 2019.
  19. Möglicher Entzug von Leistungen der Kriegsopferversorgung und Renten für ehemals freiwillige Waffen-SS-Angehörige. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 19/10297 vom 15. Mai 2019.
  20. Aktuelle Zahlen zu Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 19/25627 vom 28. Dezember 2020.
  21. Aufarbeitung eingefordert. Anhörung im Sozialausschuss des Bundestages: Linke-Fraktion beantragt Ende der „Kriegsopferzahlungen“ für ehemalige SS-Angehörige. 27. Januar 2021, abgerufen am 27. Januar 2021.
  22. Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (GV NRW 2007 S. 482, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Oktober 2011, GV NRW S. 542).
  23. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2013, Az. 2 BvL 20/08, Volltext, Rn. 3 ff.